Digitalgesetz

Mit dem Gesetzesentwurf zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG) forcierte das Gesundheitsministerium am 13. Juli 2023 konkrete Maßnahmen zur Umsetzung seiner digitalstrategischen Leitplanken. Für den medizinischen Versorgungs- und Behandlungsalltag wurden somit richtungsweisende Pläne zur fortführenden Transformation im Gesundheitswesen publik, wie beispielsweise die verbindliche Nutzung des E-Rezeptes, die Verbesserungen von Interoperabilität und Cybersicherheit sowie die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) im Opt-out-Verfahren.

In seiner Stellungnahme unterstützt der bvitg die anvisierte Einführung einer zentralen Stelle für Interoperabilitätsfragen, mehr Einsatzbereiche für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) oder auch die zurückgenommene Einschränkung für die telemedizinische Versorgung. Frühzeitig wurde allerdings ein ebenso weitreichender Handlungsbedarf ersichtlich: Insbesondere die festgeschriebene Rechtsverordnungsermächtigung, die eine weitere Ausgestaltung zentraler Gesetzesbestandteile ermöglicht, sowie offene Fragen zur weiteren Organisation der gematik GmbH sind als exemplarische Beispiele zu nennen. Trotz einer knapp zweimonatigen Einarbeitungsphase diverser Änderungen, fanden sich jene Passagen in den von der Bundesregierung verabschiedeten Kabinettsentwurfs wieder.

Wie zum Referentenentwurf positionierte sich der bvitg auch zum folgenden Kabinettsentwurf mit einer separaten Stellungnahme. Unter Einbezug des Beratungsunternehmens Dierks+Company wurde für das zweite Kommentierungsverfahren eine entsprechende Publikation erstellt, welche die Positionen der bvitg-Mitgliedsunternehmen in 14 priorisierten Schlüsselforderungen widerspiegelt.

Der überarbeitete Kabinettsentwurf brachte trotz seiner begrüßenswerten Grundintention keine signifikanten Nachbesserungen für Hersteller und Anbieter von IT-Lösungen mit sich, sodass die Herausforderungen für die konsequente und nutzerzentrierte Umsetzung für die medizinische Versorgung weiterhin bestehen bleiben.

Eindrücklich offenbarte dies die anfangs erwähnte Rechtsverordnungsermächtigung und untergesetzliche Normgebung, die trotz eines beharrlichen Engagements diverser Gesundheitsakteur:innen und Teilen der bundesparlamentarischen Opposition, einen Eingang in das mittlerweile verabschiedete Digitalgesetz fanden. Mit dieser verankerten Grundlage entziehen sich aus dem Gesetz aufbauende Regelungen teilweise einer parlamentarischen Partizipation. Besonders eklatant wirkt sich dies fortan auf die Besetzung des Digitalbeirates der gematik aus: Denn dieser Prozess obliegt nun deren Gesellschafterversammlung und somit dem Bundesgesundheitsministerium. Um hier entgegenzusteuern, hätte von gesetzgeberischer Seite mindestens bestimmt werden müssen, dass dem Digitalbeirat neben weiteren Akteur:innen des Gesundheitssektors explizit die Gesundheits-IT-Industrie angehört. Dem entgegen steht nun eine verordnete Praxis, die eine Beteiligung am Ausbau der Telematikinfrastruktur mit einer gewissen Distanz zu relevanten Stakeholdern denkt. Funktionale Abläufe und praxistaugliche Umsetzungen sind jedoch untrennbar mit dem Sachverstand und Erfahrungsschatz der Health-IT-Industrie verbunden. Unter dieser Prämisse wird der bvitg auch das 2024 kommende Digitalagenturgesetz betrachten, das die Nachfolgeorganisation der gematik GmbH regeln wird.

Neben der Rechtspraxis brachte der Gesetzesentwurf auch bürokratische Aufwände mit sich. Exemplarisch hierfür ist die ursprünglich angedachte, vierzehntägige Testphase für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zu nennen. Jene Regelung, defacto ein Rückgaberecht für DiGAs, hätte in erster Linie einen immensen Bürokratieaufwand für Ärzt:innen, Kassenärztliche Vereinigungen und Kostenträger bedeutet. Aufgrund der bis dato ungeklärten abrechnungstechnischen Regelungen ergaben sich zudem für Krankenkassen und Hersteller diverse Fragen hinsichtlich einer automatischen Vergütung nach Ausführung einer Sachleistung. Abseits davon hätte dies letztendlich – und das mit den stärksten Folgen für die Hersteller – bei der Bewertung der DiGAs falsch angesetzt. Denn ein positiver Versorgungseffekt orientiert sich nicht am regelmäßigen Nutzen. Vielmehr kann sich dieser bereits nach einzelnen Anwendungen einstellen.

In einer Ausschussanhörung im Bundestag wies unsere Geschäftsführung Melanie Wendling als Sachverständige am 15. November 2023 auf die möglichen Folgen hin. Letzte Änderungsanträge zum Gesetz wurden gar erst in der Folgewoche in einer Sitzung des Gesundheitsausschusses final debattiert. Die ursprünglich angedachte DiGA-Testpflicht fand sich im beschlossenen Gesetzestext dann nicht mehr wieder.

Von besonderem Interesse waren außerdem die positiven Impulse zur Erreichung eines hinreichenden Interoperabilitätsniveaus im deutschen Gesundheitswesen. Von Seiten des Gesetzgebers unberücksichtigt blieb, was Industrie und Leistungserbringer:innen für die Gewährleistung der technischen Anforderungen an Gesundheits-IT-Systeme hauptsächlich benötigen: Zeit! Wie vom bvitg über den gesamten Gesetzgebungsprozess an das Bundesgesundheitsministerium, politische sowie weitere Akteur:innen adressiert, treffen unrealistische Fristsetzungen sonst auf die Umsetzungsrealitäten in der Praxis. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Anforderungen – wie die sicherheitsrelevante Cloud-Regelung für das C5-Zertifikat Typ1 – unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes im Einsatz befindliche Bestandsprodukte betreffen. Das exemplarische Beispiel verdeutlicht, dass jene Regelungen und dahinterstehende Logiken den finanziellen und personellen Ressourceneinsatz verkennen, den eine solche Zertifizierung sowohl für die Unternehmen als auch extern Beauftragte beanspruchen. In einem möglichen Worst-Case-Szenario hätten Hersteller und Anbieter ihre Produkte aufgrund der kurzfristigen Erfüllung technischer Anforderungen sogar vom Markt nehmen müssen – mit einer enormen Gefahr für das Gesundheitssystem sowie Auswirkungen für Leistungserbringende und Patient:innen. Somit ist es ein beachtlicher Erfolg, wenn auch etwas hinter den industriellen Erwartungen, dass die neue Umsetzungsfrist des C5-Zertifikates Typ1 – auch aufgrund des nachdrücklichen Wirkens des bvitg – nun mit einer Übergangsfrist zum 1. Juli 2024 erfolgt und nicht, wie ursprünglich angedacht, mit Inkrafttreten des Gesetzes.

Kernelement des Digitalgesetzes blieb jedoch die elektronische Patientenakte (ePA), die ab 2025 für alle gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen soll.